Bei dem zu untersuchenden Baum handelt es sich um eine Linde. Diese steht im Hof einer Polizeiwache in G., an der Südgrenze zu einem Privatgrundstück. Sie ist etwa 23,5 m hoch, ihr Stamm-Umfang beträgt 360 Zentimeter (100 cm über GOK) und der Kronendurchmesser liegt bei 17 m.
Die gutachtengegenständliche Linde steht solitär. Sie verfügt über einen sehr ansprechenden Habitus und stellt demzufolge einen Blickfang für ihre Umgebung dar.
Daher verwundert es nicht, dass die Verantwortlichen während der Zeit, als man die Polizeistation umbaute, aber auch während des Garagenanbaus ihr besonderes Augenmerk auf den Schutz des Baumes richteten.
Nach Auskunft des Auftraggebers hat dieser den Baum bislang nahezu jährlich auf seinen Zustand hin visuell überprüft. Entsprechende Protokolle aus den Jahren 2003, 2005 und 2006 wurden mit über-geben. In diesen ist vermerkt, dass die Linde über eine „gerissene Gabel“ (gemeint ist sicherlich deren Stammkopf) und einen verdickten Stamm verfügt.
Wie der Hausmeister, Herr H. mir berichtete, teilten die südlich angrenzenden Nachbarn (Familie B.) der Leiterin der Polizeistation, Frau M., unlängst mit, dass die Linde angeblich einen starken Riss aufweise und deshalb bruchgefährdet sei.
Nach Inaugenscheinnahme des Baumes gab Frau M. diese Mitteilung an die zuständige Liegenschaftsverwaltung weiter, damit sich diese um entsprechende Überprüfung kümmere. Daraufhin erhielt mein Büro den Auftrag eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen und ggf. mögliche Gegenmaßnahmen zu nennen. Dabei wurde im Vorfeld vereinbart, das Ergebnis der Untersuchungen sowie die notwendigen Konsequenzen / Maß-nahmen in Form eines Gutachtens aufzubereiten und zu dokumentieren.
Untersuchungsergebnis
Die geschlossene Krone (erstes Foto) vermittelt den Eindruck, dass die Linde gut versorgt sei. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass deren Belaubung etwas licht und das Gros der Blätter kleiner als arttypisch ist. Demzufolge darf man die Vitalität des Baumes bestenfalls als altersgemäß einstufen.
Den äußeren Anzeichen nach zu urteilen wurden sowohl die beiden Hauptstämmlinge als auch der Nebenstämmling vor Zeiten auf halber Höhe gekappt. An den Kappstellen haben sich Ständeräste gebildet, aus denen sich trotz des starken Rückschnitts ein neues arttypisches Kronenbild entwickelte.
Beide Hauptstämmlinge waren in ca. 6 m Höhe über eine abgeflachte Kontaktstelle miteinander verbunden. Sicherlich glaubte man, dass es sich hierbei um eine Verwachsung handelte, welche geeignet sei, den instabilen Druckzwiesel, aus dem die Stämmlinge hervorgingen, ruhig zu stellen. Instabil deswegen, weil die Stämmlinge oberhalb der Stammkopfbasis eine relativ lange gemeinsame Pressfläche besitzen.
Die Basis des Zwiesels als solche war seit geraumer Zeit beidseitig eingerissen. Auf der Nordseite dient eine konvexe Wundwulst als „Klammer/ Halterung“; auf der Südseite ist lediglich eine lokale Pressverbindung vorhanden.
Sehr wahrscheinlich kam es im Laufe eines Sturmereignisses mit Süd- oder Südwestwind zum sogenannten „Schranktürklappen“.
Da die Krone der hiesigen Linde auf ihrer Südseite relativ offen ist, wurden die beiden Hauptstämmlinge, deren Basis in Ost-Westrichtung und damit senkrecht zur Windrichtung verläuft, schräg nach hinten gebogen (siehe Grafik).
Da diese schräg nach außen streben und demzufolge einen ziemlich weit nach Osten bzw. Westen verlagerten Flächenschwerpunkt besitzen, wirkten gleichzeitig Zugkräfte auf die Stammkopfbasis.
Trotz Vorhandensein von kräftigem Reaktionsholz auf der nördlichen Stammseite (Ausschnitt) bewirkten beide Beanspruchungen das Auseinanderklaffen der Stammkopfbasis auf der Südseite.
Darüber hinaus bewegten sich die beiden Stämmlinge entsprechend ihrer bereits bestehenden Auslage noch weiter auseinander. Als Beweis dafür steht, dass die ehemals geschlossene Verbindung, die zwischen den beiden Hauptstämmlingen bestand, um mind. 20 cm aufging. Wie sich dabei herausstellte handelte es sich bei dieser um keine Verwachsung, sondern lediglich um eine auf Press liegende Brücke (nur auf Druck belastbar).
Darüber hinaus führten die Zug- und Scherbewegungen sowohl zum Auftreten eines Querrisses auf der Südseite sowie zur Entstehung eines frischen Schubrisses in Verlängerung der südlichen Stammkopfbasis. Dieser verläuft parallel zu einem alten Schubriss, der sich aus dem Stammkopf heraus parallel zur Längsachse nach unten erstreckt.
Schließlich riss die südlich exponierte Stammwulst, mit dem der westliche Stämmling zugseitig verbunden ist, beidseitig ein.
Dadurch verlor dieser seine Verbindung zum übrigen Stamm. Demzufolge hängt der Weststämmling nur noch auf der Nord-, sprich Druckseite, an relativ dünner Wandung und droht über diesen Haltepunkt abzuscheren bzw. abzudrehen.
Ungeachtet der genannten Defekte stellte sich der Stamm als kernfaul heraus. Als besonders dünnwandig erwies sich die Restwandung auf der Ostseite (= Schubzone). Auch hier zeigt das Tomogramm eine bereits deutliche Schwächung der Restwandung infolge von Rissbildung.
Eine Stabilisierung des Baumes bzw. dessen Krone wäre nur unter der Voraussetzung möglich, dass man diese sehr erheblich einkürzen würde. Allerdings wäre dann das Erscheinungsbild der Linde vollkommen deformiert. Ihre weitere Existenz wäre nur als „Besen- oder als Kopfbaum“ möglich.
Da eine solche Alternative als wenig erstrebenswert erscheint, ist die Linde zu fällen. Aufgrund der massiven Schäden, die der Baum aufweist, besteht diesbezüglich akuter Handlungsbedarf. Über die Dringlichkeit, sprich über die Erfordernis zur sofortigen Beseitigung des Baumes, habe ich den Auftraggeber vorab telefonisch in Kenntnis gesetzt.